Vorbemerkung und Geschichte




 

Es gibt viele Wege zur Mathematik,

und wir wollen diese Vielfalt kultivieren.

Es gibt nur einen Weg zur Mathematik,

den selbst gegangenen.

 

Leben heißt, Gegensätze zu vereinbaren. Das wird beim Nachdenken über Möglichkeiten, den Mathematikunterricht wesentlich und für alle Schüler zu verbessern, schnell klar. Die vermeintliche Abstraktheit der Mathematik und die Notwendigkeit, in lebendigen Bildern zu denken, wenn man in ihr vorankommen will, ist ein solcher Gegensatz. Die Allgegenwärtigkeit der Mathematik in unserer Zivilisation und ihre gleichzeitige Unsichtbarkeit ein anderer. Man könnte Seiten füllen mit der Aufzählung solcher Gegensätze, die alle dazu angetan sind, dem Gelingen eines Mathematikunterrichtes für alle entgegenzustehen. Aber spätestens nach der TIMS-Studie ist allgemein akzeptiert, dass die Widrigkeiten des Vorhabens kein Grund sind, nicht mit allen geeigneten Mitteln zu versuchen, dem Mathematikunterricht mehr Kraft zu geben.

 

Die Geschichte des Programmes

 

Das Programm SINUS wurde nach TIMSS von der BLK beschlossen, als Baden-Württemberg schon dabei war, das Projekt WUM (Weiterentwicklung der Unterrichtskultur im Mathematikunterricht) auf den Weg zu bringen. Der Ansatz von WUM passte genau, und so wurde es Teil des Programmes. Von 1998 bis 2003 arbeiteten je 6 Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien in diesem Projekt.

Dieses Projekt wurde vom Landesinstitut unter Leitung von Dr. Hartmut Köhler durchgeführt. Die Projektarbeit orientierte sich besonders an den folgenden vier der von der BLK vorgegebenen 10 Moduln:

  • Weiterentwicklung der Aufgabenkultur
  • Aus Fehlern lernen
  • Kumulatives Lernen, Zuwachs von Kompetenz erfahrbar machen
  • Prüfen: Erfassen und Rückmelden von Kompetenzzuwachs

 

Das Vorhaben war so wichtig, wie die ersten Erfahrungen der Arbeit ermutigend waren. Daher wurde parallel zu dem Projekt die landesweite Weiterbidlung FbWUM angeboten, die sowohl methodisch wie auch inhaltlich die Ansätze und Erfahrungen des Projektes aufnahm. War diese Weiterbildung eine spezifisch baden-württembergische Angelegenheit, so wurde die Fortsetzung des Projektes zur Verbreitung der gewonnenen Erfahrungen wieder als Programm angeboten. Das Programm heißt in baden-Württemberg WUM (SINUS) - Transfer und lief hier als erste Welle von 2003 -2005 mit 40 Schulen, und es läuft jetzt als zweite Welle mit weiteren 50 Schulen von 2005 bis 2007. Dabei stehen den mitarbeitenden Schulen verschiedene LEU-Hefte aus den ersten Jahren zur Anregung zur Verfügung.

 

Schließlich begann dann im März 2005 auch ein Programm SINUS-Transfer Grundschule, an dem sich Baden-Württemberg mit zehn Schulen beteiligt. Das Ziel des Grundschulprogrammes ist es, schließlich zu einer durchgehend anderen Unterrichskultur im Mathematikunterricht der Schule zu kommen.

 

Das modulare Konzept

Das Programm von SINUS-Transfer ist modular aufgebaut. Die Moduln lassen Raum für Ergänzungen und individuelle Entwicklungen, sind aber klar in ein Gesamtkonzept eingebettet.

 

Integration in bestehende Konzepte

Eine nachhaltige Änderung der Unterrichtskultur gelingt dann am besten, wenn die Beteiligten die Innovationsprozesse akzeptieren und individuell in ihr persönliches Unterrichtskonzept integrieren können.

 

Daher kommt den Lehrkräften im Programm SINUS-Transfer eine aktive und verantwortungsvolle Aufgabe zu. Sie entscheiden - als Experten auf diesem Gebiet - selbst, wie der Prozess der Optimierung des Unterrichts zu gestalten ist.

 

Flexibilität

Die Module erlauben es, an wenigen Stellen mit der Unterrichtsentwicklung zu beginnen und die Veränderungen nach und nach auszuweiten. Sie ermöglichen die Anpassung an lokale, regionale und länderspezifische Bedingungen. Ausdrücklich erwünscht ist eine Schwerpunktsetzung, die sich an den spezifischen Stärken des Kollegiums bzw. der einzelnen Kolleginnen und Kollegen orientiert.

 

Die Arbeit lässt sich in vieler Weise kombinieren mit anderern Vorhaben der aktuellen Schulentwicklung.

 

Zusammenarbeit als übergeordnetes Ziel

Bei aller thematischen Variabilität und Flexibilität der von den Modulen ausgehenden Arbeit bleibt aber eine Konstante, das gemeinsame Element der kollegialen Zusammenarbeit. Die Lehrkräfte arbeiten vor Ort in den Fachschaften, aber auch fächerübergreifend zusammen. Regionaler Erfahrungsaustausch, überregionale Betreuung und Unterstützung fördern und festigen die Kooperation vor Ort.

 

Sogibt es regelmäßige Treffen der Schulen, bei denen Anregungen gemeinsam auf ihre Tauglichkeit überprüft werden, Möglichkeiten und Schwierigkeiten diskutiert und sogar gemeinsame Unterrichtsvorhaben ausgearbeitet werden.

Darüberhinaus gibt es einen Austausch mt den Schulen, die in anderen Bundesländern in dem Programm arbeiten.

 

Eigene Wege

Die am besten geeignete Metapher zur Darstellung von WUM (SINUS) Transfer ist der Weg. Es geht in dem Projekt darum, dass sich die Fachschaften an den Schulen auf den Weg machen. Es geht nicht um die Übernahme irgendwelcher neuer Ansätze, sondern um deren eigene Entwicklung  - wenn auch natürlich unter Kenntnisnahme all dessen, was dafür inzwischen zur Verfügung steht. Dazu muss jede der beteiligten Lehrkräfte bereit sein, sich (u. U. nach langer Berufserfahrung erneut) auf den Weg zu machen und neue Möglichkeiten zu erkunden. Und schließlich ist dann auch der Unterricht wesentlich dadurch geprägt, dass die Lehrperson dem Schüler gestattet, ja von ihm erwartet, dass er seinen persönlichen Lernweg geht. Das Projekt nimmt vor allem die inzwischen unbestrittene Eigenschaft des Lernprozesses ernst, dass er nur als eigene Aktivität des Lernenden möglich ist.

 

Wir wissen es alle von der Metapher des Gehens: Wenn nichts mehr geht bricht die Entwicklung ab. Und manchmal kann man das bis in ein didaktisches Detail hinein fruchtbar werden lassen. Die Winkelsumme im Dreieck erfährt der Schüler am besten körperlich, in dem er den Winkeln nachgeht, ehe er das Wissen mit formaleren Mitteln absichert. 





Den Winkeln nachgehen

Realutopie

Martin Wagenschein hat immer wieder darauf hingewiesen, dass man sich fernen und zunächst utopisch anmutenden Zielen oft soweit nähern kann, dass sich der Weg auch dann schon gelohnt hat, wenn noch ein weites Stück zu gehen bleibt. Eine in dieser Hinsicht eindrucksvolle Erfahrung vieler, die im Projekt gearbeitet haben, war die Möglichkeit, Schüler, die dem Unterricht bis dahin fern gestanden hatten, zu mathematischer Aktivität anzuregen.

 

Veröffentlichungen:

Hartmut Köhler: Nur die eigene mathematische Aktivität. In: DMV-Mitteilungen 12, 2/2004

Hartmut Köhler (Hg.): Erfahrungen Reflexionen  Perspektiven. Stuttgart (LEU, M64) 2003